Innovationspreis GEFAHR/GUT: Ohne Druck und Kälte
Es gibt verschiedene Wege, um Wasserstoff auf Straße, Schiene oder Schiff zu befördern. Man kann das Gas komprimieren und es bei mehreren Hundert bar in speziellen Druckbehältern transportieren. Alternativ lässt sich der Wasserstoff tiefkalt bei minus 253 Grad Celsius speichern. Oder man verbindet ihn mit Stickstoff zu Ammoniak (NH3), das bei einer Temperatur von minus 33 °C und einem Druck von etwa zehn bar flüssig wird und in entsprechend ausgestattete Tanks abgefüllt werden kann.
Auf eine ganz andere Methode setzt die Erlanger Firma Hydrogenious LOHC Technologies. Sie bindet den Wasserstoff chemisch an ein flüssiges organisches Trägermedium (Liquid Organic Hydrogen Carrier, LOHC), in diesem Fall an Benzyltoluol. Der große Vorteil: Das so entstehende Perhydrobenzyltoluol ist lediglich klassifiziert als umweltgefährdender Stoff, n. a. g., der UN-Nummer 3082. Es kann also mit herkömmlichen Transportmitteln befördert werden, wie man sie etwa für den Mineralöltransport einsetzt. Für diese Lösung hat das Unternehmen nun den Innovationspreis GEFAHR/GUT 2023 erhalten.
Trägermedium Benzyltoluol
„Mit unserer Technologie binden wir Wasserstoff chemisch reversibel an ein Trägeröl, das kompatibel mit der bestehenden Infrastruktur für flüssige Kraftstoffe ist“, erläutert Hydrogenious-CEO Daniel Teichmann das Prinzip. Dabei werden die Wasserstoffmoleküle in einer Hydrieranlage über eine katalytische Reaktion in das LOHC-Benzyltoluol integriert. Dies ist ein exothermer Prozess, der bei einer Temperatur von rund 250 °C unter einem Druck von zehn bis 20 bar abläuft, wobei die Wärme für industrielle Anwendungen am Ort der Entstehung genutzt werden kann. Gedacht ist dabei unter anderem an Meerwasser-Entsalzungsanlagen, wenn „grüner“ Wasserstoff beispielsweise in südlichen Ländern mithilfe von Strom aus Fotovoltaikanlagen erzeugt wird.
Bis zu 54 Kilogramm H2 können laut Firmenangaben in einem Kubikmeter des Trägermediums gespeichert werden. „Ich kann es in Tanklastwagen transportieren, in Öltankern, in Kesselwagen, durch Tunnel“, sagt Teichmann und ergänzt: „Ich brauche also keine Druck- oder Kryogen-Infrastruktur.“ Nach seinen Ausführungen hat der „beladene“ Stoff einen hohen Flammpunkt von 130 °C und es bilde sich weder eine nennenswerte Gasphase aus noch ein entzündliches Gemisch. Wie bei allen Kohlenwasserstoffen sei lediglich seine wassergefährdende Eigenschaft zu beachten.
Am Ziel angekommen, kann das LOHC zunächst in normalen Tanks gespeichert werden, bevor der Wasserstoff in einem Dehydrator daraus gelöst wird. Dazu ist neben einem Katalysator eine Temperatur von 300 °C erforderlich, idealerweise in Form von Abwärme aus industriellem Umfeld oder aber aus Hochtemperatur-Brennstoffzellen. Als Ergebnis erhält man Wasserstoff – laut Hydrogenious entspricht die Reinheit der ISO 14687 –, der sofort verbraucht oder kurzfristig zwischengespeichert wird, dann natürlich in einem Druck- oder Kryotank. Das „entladene“ Trägermedium steht wieder zur Verfügung und kann, nachdem es zurück zum Erzeuger gebracht wurde, erneut mit Wasserstoff beladen werden. Wie Daniel Teichmann versichert, lässt sich dieser Rundlauf mehrere Hundert Male verlustfrei durchführen.
Entscheidende Vorteile
Die entscheidenden Vorteile der LOHC-Technologie liegen also in der hohen Speicherdichte, der Sicherheit, da der Wasserstoff nicht in molekularer Form als H2 auftritt, und in der Flexibilität, weil die bestehende Mineralöl-Infrastruktur für den Transport genutzt werden kann. Trotzdem gibt es Fälle, in denen andere Methoden vorzuziehen sind. „Es macht zum Beispiel keinen Sinn, Wasserstoff in LOHC aus Nordafrika nach Hamburg zu verschiffen und ihn dort zur Herstellung von Ammoniak zu verwenden“, sagt Teichmann. Wird H2 als Kraftstoff in Fahrzeugen genutzt, seien Druckspeicher vorzuziehen, da die Freisetzung aus dem Trägermedium in Pkw und – zumindest derzeit – in Bussen und Nutzfahrzeugen zu aufwendig wäre.
Auf Schiffen ist die Technologie nach Ansicht des Hydrogenious-Chefs jedoch durchaus einsetzbar, indem man das beladene Trägeröl in den existierenden Tanks speichert und die für den Antrieb benötigten Wasserstoffmengen nach Bedarf herauslöst. Mit einer norwegischen Firma habe man zu diesem Zweck bereits ein Joint Venture gegründet.
Um die Anwendung der LOHC-Technologie in der Praxis zu demonstrieren, organisiert Hydrogenious seit Anfang Juli 2022 die Versorgung einer Wasserstofftankstelle, die der Projektpartner H2 Mobility im fränkischen Erlangen betreibt. Ein normales Tankfahrzeug liefert das mit H2 beladene Benzyltoluol bei der Tankstelle an, wo es zunächst in Erdtanks gelagert wird. Eine Freisetzungsanlage („Releasebox“) löst den Stoff kontinuierlich heraus und leitet ihn in einen Hochdruck-Zwischenspeicher, der ihn so weit verdichtet, wie es für die Betankung der Fahrzeuge notwendig ist. Das „entladene“ Öl bringt der Tanklaster zurück zur Beladestelle, wo es wieder „aufgeladen“ wird und der Kreislauf von vorne beginnt. Im Detail beschrieben ist der Ablauf im Artikel „Relativ gefahrlos“ in Ausgabe 09/2022 der GEFAHR/GUT, verfügbar auch auf www.fokus-gefahrgut.de.
Für industrielle Anwendungen
Tankstellen sieht Hydrogenious allerdings nicht als Hauptanwendungsfall. „Bei unseren großen Projekten geht es darum, Wasserstoff der Industrie zur Verfügung zu stellen“, erklärt Daniel Teichmann. So plane man derzeit im Chempark Dormagen eine Anlage für den Kunststoffproduzenten Covestro. Bis zu 1800 Tonnen Wasserstoff sollen hier jährlich erzeugt und in LOHC gebunden werden, wenn der Betrieb wie angestrebt im Laufe des Jahres 2025 aufgenommen werden kann. Große Freisetzungsanlagen sind zudem angedacht in Rotterdam und in Lingen an der Ems. Dort will man LOHC importieren, das in Schweden, aber auch im Nahen Osten mit Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen beladen wurde.
Erst kürzlich haben Hydrogenious und die Binnenschiffsreederei HGK Shipping darüber hinaus ein Memorandum of Understanding unterzeichnet. Ziel ist es, eine Lösung zu entwickeln, die den Energieträger Wasserstoff für die Binnenschifffahrt flächendeckend verfügbar macht. Bis zum Jahr 2028 wollen die Partner ein Demonstratorschiff entwickeln, dessen Propulsionseinheiten von einer Brennstoffzelle angetrieben werden können, die mit aus LOHC gewonnenem Wasserstoff gespeist wird. Bisher nicht Teil des Memorandums, aber in einem weiteren Schritt denkbar sei es laut einer Pressemitteilung, anhand des Demonstratorschiffs auch LOHC-Transporte auf der Wasserstraße zu testen. Ein weiteres Memorandum hat man Anfang Mai mit dem Entwicklungsunternehmen CWP Global vereinbart. Angestrebt wird dabei eine Machbarkeitsstudie zu einer möglichen Wasserstofftransportkette mit einem Volumen von 500 Tonnen pro Tag von Marokko nach Europa.
Große Herausforderungen, denen sich der Gewinner des Innovationspreises GEFAHR/GUT 2023 stellen will. „Wir haben uns die Realisierung europäischer und über europäischer Wasserstoff-Lieferketten zum Ziel gesetzt. Denn solche Lieferketten gab es bisher nicht“, zieht Daniel Teichmann sein Fazit.
Rudolf Gebhardt
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