Innovationspreis Gefahr/gut 2013: Heiße Laster bleiben draußen
Ein Fahrzeugbrand im Tunnel gehört zu den größten Katastrophen, die im Straßenverkehr denkbar sind. Leider gab es in der Vergangenheit bereits einige Beispiele solcher schrecklichen Ereignisse mit furchtbaren Folgen für die Beteiligten: So etwa im März 1999 im Montblanctunnel zwischen Frankreich und Italien, im Mai des gleichen Jahres im österreichischen Tauerntunnel und im Oktober 2001 im Tunnel unter dem Schweizer Gotthardmassiv. In allen genannten Fällen waren LKW Auslöser dramatischer Feuersbrünste. Lastwagen, die in einem Tunnel in Brand geraten, so die Lehre aus den Ereignissen, sind ein gigantisches Sicherheitsrisiko für alle Verkehrsteilnehmer.
Im Karawankentunnel, der Österreich über die Autobahn A11 mit Slowenien verbindet, ist ein derartiges Horrorszenario künftig wenig wahrscheinlich geworden. Zumindest durch den Verkehr, der von Norden in den Tunnel einfährt: Dort kontrolliert seit dem 10. Mai 2012 ein so genannter Vehicle Hot Spot Detector die Temperaturen aller Fahrzeuge über 7,5 Tonnen Gewicht. Stellt das System eine ungewöhnliche Überhitzung – und damit einen potenziellen Brandherd – an einem Teil des LKW oder Busses fest, wird er vor der Einfahrt in den Tunnel auf einen Parkplatz ausgeleitet und dort untersucht. Für diese Sicherheitslösung haben nun die Firma Sick und ihre Tochter ECTN gemeinsam mit dem österreichischen Autobahnbetreiber Asfinag den Innovationspreis Gefahr/gut 2013 erhalten.
Scannen im Vorbeifahren
Der Vehicle Hot Spot Detector erledigt seine Aufgabe buchstäblich im Vorbeifahren. Dazu werden alle Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen vor dem Tunnel auf einer gesonderten Spur rechts herausgeführt. Jeder Bus und jeder LKW passiert dort eine Portalanlage, die auf dem Gelände des alten Grenzabfertigungsbereichs installiert ist. Das Portal ist oben und auf beiden Seiten mit insgesamt vier Laserscannern ausgerüstet, die von jedem Wagen bei der Durchfahrt eine Vielzahl von dicht aufeinanderfolgenden Querschnittbildern aufnehmen. Am hinteren Ende der Anlage misst ein fünfter Scanner im Takt zu jedem Schnittbild den jeweiligen Abstand zur Front des Fahrzeugs, so dass bei der Verknüpfung aller Daten im Rechner ein dreidimensionales Abbild entsteht.
Gleichzeitig erfassen zwei Wärmebildkameras, die an der rechten und linken Säule des Portals montiert sind, die Temperaturen der einzelnen Bereiche des Vorüberfahrenden. Gekoppelt mit den Scannerdaten, resultiert daraus ein Thermobild, das im Detail zeigt, welcher Teil des LKW oder Busses welche Temperatur aufweist.
Natürlich haben alle Kraftfahrzeuge Teile, die schon im normalen Betrieb deutlich heißer sind als andere, etwa der Motor, die Auspuffanlage oder die Bremsen. Zudem liegen die heißen Teile bei unterschiedlichen Fahrzeugen auch an unterschiedlichen Stellen. So ist der Motor eines Lastwagens vorne, der eines Reisebusses dagegen hinten. Deshalb hat ECTN/Sick vom Motorrad bis zum schweren Sattelzug 28 Fahrzeugklassen definiert und im Rechner hinterlegt, welche Hitzegrade für welche Bereiche noch zulässig sind. Anhand des 3-D-Bildes erkennt die Software, zu welcher Klasse ein KFZ gehört und welche Temperaturen wo höchstens erlaubt sind. „Die Klassifizierung sagt uns also, ob bei diesem Fahrzeug an genau dieser Stelle eine Überhitzung gerechtfertigt ist oder nicht“, erklärt René Klausrigler, Produktmanager Identification & Measuring bei Sick.
Ausleitung per Schranke
Registriert der Rechner eine unzulässige Hitzequelle, schließt das Programm automatisch vor dem verdächtigen Wagen eine Schranke, die ihn zum daneben liegenden Parkplatz leitet. Dort wird er umgehend von den Fachkräften des Betreibers Asfinag untersucht. Stellen diese einen konkreten Schaden fest, muss er behoben werden, bevor der Bus oder LKW erneut den Vehicle Hot Spot Detector durchfahren darf. Da laut Klausrigler in den meisten Fällen überhitzte Bremsen Grund für eine Ausleitung sind, reicht jedoch in der Regel eine Wartezeit von etwa 20 Minuten zur Abkühlung, damit das System nach einer erneuten Passage des Portals die Zufahrt zum Tunnel freigibt.
Vom Start am 12. Mai 2012 bis zum Frühjahr 2013 hat der Detektor gerade mal 300 Fahrzeuge angehalten. Bei einer Verkehrsbelastung von durchschnittlich 700 KFZ über 7,5 Tonnen pro Tag entspricht dies einer Quote von etwa 1,5 Promille. „Das klingt wenig, aber ein einziger Vollbrand im Tunnel wäre eine Katastrophe“, weiß Rainer Kienreich, Geschäftsführer der Asfinag, die die Anlage unter dem Namen „Thermoscanner“ betreibt.
Man habe sich für den 5,6 Kilometer langen Karawankentunnel als Pilotprojekt entschieden, so Kienreich weiter, „da er einer der ältesten Tunnel in Österreich ist und das bestehende Lüftungssystem Defizite gegenüber dem neuesten Stand der Technik aufweist“. Zudem konnte man die ehemalige Grenzabfertigung nutzen, um ohne allzu große bauliche Maßnahmen und ohne Behinderung des fließenden Verkehrs LKW und Busse auszuleiten.
Bis heute war unter den gestoppten Fahrzeugen noch kein einziger Lastwagen mit gefährlicher Fracht. „Das liegt daran, dass Gefahrguttransporte in Österreich durch Tunnels über 5000 Meter Länge nur mit Begleitfahrzeug fahren dürfen“, ist der Asfinag-Geschäftsführer überzeugt. Dies sei ein Schritt, der schlecht ausgerüstete oder überhitzte Gefahrgut-LKW nahezu ausschließe.
Aus diesem Grund hat man beim Karawankentunnel bislang keine automatische Gefahrguterkennung eingerichtet, auch wenn dies prinzipiell möglich und leicht nachrüstbar wäre. Dazu ist lediglich eine weitere Kamera erforderlich, die die orangefarbene Warntafel und – bei Tank- und Schüttgutverkehren – Gefahrzahl sowie UN-Nummer erfasst. „Sie liest die Ziffern auf der Tafel und verbindet sie mit 3-D-Bild und Klassifizierung“, sagt Sick-Fachmann Klausrigler und ergänzt: „Das steigert die Sicherheit nochmals.“
Weitere Pläne stehen bereits
Schon seit einigen Jahren ist ein Vehicle Hot Spot Detector am Schweizer Gotthardtunnel installiert, der dort LKW und Busse sogar im fließenden Verkehr erfasst, allerdings bislang nur zu Testzwecken. Darüber hinaus denkt man bei Sick über den Einsatz des Systems beim Eurotunnel zwischen Frankreich und England nach. „Wir können auch prüfen, ob ein LKW richtig auf dem Bahnwaggon positioniert ist. Oder ob zum Beispiel Antennen abstehen, die nicht mit der Oberleitung in Berührung kommen dürfen”, meint René Klausrigler. Denkbar sei auch, LKW auf Überhitzung zu scannen, bevor sie auf Fährschiffe fahren oder vor der Abfahrt von Passhöhen.
In der Alpenrepublik soll der Thermoscanner am Karawankentunnel jedenfalls keine Einzellösung bleiben. „Wir denken daran, einröhrige Tunnels wie etwa am Arlberg oder Tunnels mit stärkeren Steigungsstrecken im Zulauf damit auszustatten“, erklärt Rainer Kienreich. Betroffen davon wären zunächst der Katschberg- und der Tauerntunnel an der A10 zwischen Salzburg und Villach sowie der Gleinalmtunnel an der A9 nördlich von Graz. „Der Vorteil des Scanners liegt darin, dass nicht auf Ereignisse reagiert werden muss, sondern dass diese erst gar nicht eintreten können“, lautet das Fazit des Asfinag-Geschäftsführers.
Rudolf Gebhardt
Die bisherigen Preisträger
- 2003: Kraftwerk Mehrum
- 2004: Spedition Hans Lechner
- 2005: Sommer Fahrzeugbau
- 2006: LSU Schäberle
- 2007: Nordpack
- 2008: Clariant
- 2009: Container Master Project
- 2010: Cargo Safety Systems
- 2011: Merck
- 2012: Willig
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